Wer eine arbeitsvertragliche Vergütung erhält, die niedriger ist als die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (z. Zt.: 72.600 Euro brutto/Jahr West oder 62.400 Euro brutto/Jahr Ost), kann laut Bundesarbeitsgericht grundsätzlich eine angemessene Vergütung für geleistete Mehrarbeit/ Überstunden fordern. 

(BAG Urteil vom 22.02.2012 - 5AZR 765/10)

Auch wenn das Urteil bereits älteren Datums ist, hat es nach wie vor Gültigkeit.

Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Die Vorschrift ist aber anzuwenden, wenn eine in bestimmter Höhe gewährte Arbeitsvergütung nicht den vollen Gegenwert für die erbrachten Dienstleistungen darstellt, also Überstunden auf diese Weise vergütet werden sollen (BAG 1. September 2010 - 5 AZR 517/09 - Rn. 9 mwN, BAGE 135, 250).

Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist, gibt es nicht. Die Vergütungserwartung ist stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankommt. Sie kann sich insbesondere daraus ergeben, dass im betreffenden Wirtschaftsbereich Tarifverträge gelten, die für vergleichbare Arbeiten eine Vergütung von Überstunden vorsehen. Die - objektive - Vergütungserwartung wird deshalb in weiten Teilen des Arbeitslebens gegeben sein (vgl. BAG 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 20 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 10; 21. September 2011 - 5 AZR 629/10 - Rn. 31 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 11). Sie wird aber fehlen, wenn arbeitszeitbezogene und arbeitszeitunabhängig vergütete Arbeitsleistungen zeitlich verschränkt sind (vgl. BAG 21. September 2011 - 5 AZR 629/10 - Rn. 32, aaO) oder wenn Dienste höherer Art geschuldet sind oder insgesamt eine deutlich herausgehobene Vergütung gezahlt wird (vgl. BAG 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 20, 21, aaO). Von letztem Fall wird regelmäßig ausgegangen werden können, wenn das Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet. Mit dieser dynamischen Verdienstgrenze gibt der Gesetzgeber alljährlich zu erkennen, welche Einkommen so aus dem in der Solidargemeinschaft aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten herausragen, dass damit keine weitere Rentensteigerung mehr zu rechtfertigen ist. Wer mit seinem aus abhängiger Beschäftigung erzielten Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet, gehört zu den Besserverdienern, die aus der Sicht der beteiligten Kreise nach der Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben und nicht eines Stundensolls beurteilt werden. Ihnen und ihren Arbeitgebern fehlt regelmäßig die objektive Vergütungserwartung für ein besonderes Entgelt als Gegenleistung für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit.

Wer aber aus abhängiger Beschäftigung eine Vergütung unterhalb der Beitragsbemessungsgrenzen erhält, darf berechtigterweise eine Vergütung für Mehrarbeit/ Überstunden erwarten.

Der Arbeitnehmer hat jedoch darzulegen und zu beweisen, wann und in welchem Umfang er Mehrarbeit geleistet hat, und zwar arbeitstäglich durch Vergleich der regelmäßigen Arbeitszeit und mit der von ihm tatsächlich geleisteten Arbeitszeit. Voraussetzung ist ferner, dass der Arbeitnehmer darlegen und nachweisen kann, dass die Mehrarbeit auf Weisung des Arbeitgebers oder zumindest mit dessen Duldung geleistet wurde. Im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung besteht häufig jedoch die eigentliche Schwierigkeit darin, die behauptete Mehrarbeit auch nachzuweisen. 

BAG Urteil vom 22.02.2012