Hält sich ein Minderjähriger nach dem paritätischen Wechselmodell zeitlich zu gleichen Teilen bei beiden Elternteilen auf, ist für die Bestimmung des Hauptwohnsitzes des Kindes nicht auf die konkreten Aufenthaltszeiten in den jeweiligen Wohnungen abzustellen.

(VerwG Berlin, Urteil 21.04.2016 - 23 K 270.14)

Sachverhalt:
Der Kindesvater wohnte seit 1. Februar 2001 in der X.straße 15, ... Berlin (Etage 4 Re); die Kindesmutter und der gemeinsame Sohn waren erst seit 4. Mai 2009 in der X. straße 15, ... Berlin (Etage 4 - ohne Zusatz im Melderegister) als Wohnanschrift gemeldet. Der Kindesvater und die Kindesmutter lebten dort mit dem Kind in zwei, auf einer Etage gegenüberliegenden Wohnungen. Nachdem sich der Kindesvater und die Kindesmutter im August 2011 getrennt hatten, zog diese im Frühjahr 2012 aus ihrer Wohnung in der X.straße aus und meldete sich und ihren Sohn ab 12. April 2012 mit Hauptwohnsitz in ihrer neuen Wohnung in der A.straße 142, ... Berlin, an. Aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung zwischen dem Kindesvaterr und der Kindesmutter lebt der gemeinsame Sohn seit Januar 2012 im wöchentlichen Wechsel bei der Mutter oder bei dem Vater. Das Amtsgericht P... legte mit Beschluss vom 27. Mai 2013 dieses sog. paritätische Wechselmodell verbindlich fest. 

Die Kindesmutter übte die elterliche Sorge zunächst allein aus, seit 6. November 2012 steht das Sorgerecht den Kindeseltern gemeinsam zu.

Mit Schreiben vom 18. März 2013 beantragte der Kindesvater beim Bezirksamt P... Berlin die Berichtigung des Melderegisters dahin, seine Wohnung in der X.straße 15 mit Wirkung vom 12. April 2012 durchgehend als Hauptwohnung für seinen Sohn im Melderegister einzutragen. Diesen Antrag lehnte die Behörde mit Bescheid vom 10. Januar 2014 ab. Hauptwohnung sei die vorwiegend benutzte Wohnung.

Die dagegen gerichtete Klage des Kindesvaters wurde abgewiesen.

Hält sich ein Minderjähriger - wie hier - nach dem paritätischen Wechselmodell zeitlich genau gleichviel in den Wohnungen seiner getrennt lebenden Eltern auf, steht fest, dass er keine der beiden Wohnungen vorwiegend benutzt. In diesen Fällen muss versucht werden, seine Hauptwohnung nach dem Hilfskriterium des Schwerpunkts der Lebensbeziehungen zu bestimmen. Aber auch dieses Bestimmungskriterium greift hier nicht. Es lässt sich insbesondere nicht aus dem Vorbringen des Kindesvaters herleiten, der soziale Lebensmittelpunkt seines Sohnes in seiner Wohnung ergebe sich aus der Nähe zur Schule sowie zu dem Freundes- und Bekanntenkreis. Es liegt zwar nahe anzunehmen, dass beim Auszug eines Elternteils aus der Familienwohnung bis auf weiteres dort der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen der minderjährigen Kinder liegt. Denn die Kinder haben an dem Ort bzw. in der Umgebung dieser Wohnung zumindest einen Teil ihres bisherigen Lebens verbracht, während Ort bzw. Umgebung der neuen Wohnung des ausgezogenen Elternteils für sie in der Regel fremd sind. Diese Annahme trägt allerdings nicht, wenn - wie im vorliegenden Fall - beide Wohnungen räumlich nahe beieinander liegen (so BVerwG, Urteil vom 30. September 2015 - BVerwG 6 C 38.14 -, juris Rn. 22).

Die Bestimmung des Haupstwohnsitzes ist nach OLG München keine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für ein Kind, sodass die Anrufung des Familiengerichtes ausscheidet (vgl. OLG München, Beschluss vom 25. Januar 2008 - 12 UF 1776/07 -, juris Rn. 11 ff.).

Danach hat das Bezirksamt P... Berlin (im Ergebnis) zu Recht mit den angegriffenen Bescheiden die neue Wohnung der Kindesmutter als Hauptwohnsitz des Sohnes des Kindesvaters festgelegt. Nach § 22 Abs. 2 BMG ist Hauptwohnung eines minderjährigen Einwohners die vorwiegend benutzte Wohnung der Personensorgeberechtigten. Da die Kindesmutter bis zum 5. November 2012 für ihren Sohn allein sorgeberechtigt war, konnte nur ihre Wohnung in der X.straße (Etage 4 - ohne Zusatz im Melderegister) sein Hauptwohnsitz sein und nach ihrem Auszug im April 2012 auch nur ihre neue Wohnung Hauptwohnsitz des Sohnes werden. Auch wenn der Kindesvaters seit dem 6. November 2012 die elterliche Sorge mit der Kindesmutter gemeinsam ausübt, besteht keine Veranlassung, ab diesem Zeitpunkt den Hauptwohnsitz des Sohnes neu festzulegen. Die Wohn- und Lebenssituation des Sohnes hat sich seitdem nicht geändert; die gesetzlichen Bestimmungskriterien der vorwiegenden Benutzung und des Schwerpunkts der Lebensbeziehung (§ 22 Abs. 2 und 3 BMG) greifen - nach wie vor - nicht. Das Sorgerecht kann - wenn es wie hier (ab 6. November 2012) beiden Elternteilen zusteht und diese getrennt leben - kein Bestimmungskriterium dafür sein, bei wem von ihnen sich die Hauptwohnung des Kindes befindet (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Mai 2008 - OVG 5 N 9.07, OVG 5 L 10.07 -, juris Rn. 12; Urteil der Kammer vom 24. August 2011 - VG 23 K 242.09 -, juris Rn. 21).

VerwG Berlin Urteil vom 21.04.2016